Gewissensfrage

Während ich in einer Bar am Weinbergsweg im schicken Mittekiez am Riesling nippte um anschließend damit fortzufahren, Klassenkampfparolen von mir zu geben, stand da plötzlich dieser Mann, der sich als Obdachlosenzeitungsverkäufer ausgab und versuchte, das einzige zerknautschte und etwas dreckig aussehende Exemplar des Straßenfegers, der Motz oder was auch immer loszuwerden. Unterbrochen in unserer lebhaften Diskussion winkten meine drei Kolleginnen und ich nur kurz ab. Ich setzte an, weiterzupoltern, hielt aber plötzlich inne.

Ich schaute die anderen an und sah, dass auch sie sofort gemerkt hatten, was hier passiert war. Eiskalt hatte ich den Bedürftigen an meinem Tisch abblitzen lassen, obwohl ich nur eine Sekunde zuvor darüber gezetert hatte, wie „scheißegal“ den Chefs von Opel, GM, Quelle oder Karstadt das Schicksal ihrer Mitarbeiter sei. Scheißegal war mir offensichtlich in diesem Moment das Schicksal des Zeitungsverkäufers. Das beschämte mich. Nicht weil ich glaube, dass ich die Pflicht habe, jedem, der darum bittet, mein Geld zu geben. Eher weil mir der eklatante Widerspruch zwischen meinen Worten und Taten in diesem Moment so schonungslos vorgeführt wurde. Wenn ich schon niemandem mein Geld geben will oder es aus Desinteresse gerade unterlasse, sollte ich nicht von anderen fordern, dass sie es tun, oder? Grübel…

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Immer zweimal mehr krank als wie Du!

Berlin ist krank! Behauptet Volker Zastrow in der aktuellen FAS. Woran er das festmacht? Nun, zum Beispiel an der Zahl der anonymen Bestattungen in der Hauptstadt. Sie nähere sich den 50 Prozent. Das heißt, dass beinahe jeder zweite, der hier stirbt, niemanden hat, der um ihn trauert. Könnte man denken. Richtig ist wohl eher, dass sich fast jeder zweite keine Namensbestattung mehr leisten kann. Die ist nämlich bedeutend teuerer als eine anonyme Bestattung, die die preiswertestes Form ist, um ins Grab zu kommen. Sagt wiederum Wikipedia.

Volker Zastrows Text zeigt lediglich, dass hier ein Provinzler am Werk ist, der mit einer Mischung aus Ekel und Faszination aus 500 Kilometern Entfernung auf Berlin schaut. Die Einsamkeit und Anonymität, die sprichwörtliche, wird einer Großstadt ja gern nachgesagt. Omas vermodern monatelang in ihrer Wohnung vor sich hin, man kennt das ja von RTL. Als würde in Frankfurt (am Main) jeder seine Nachbarn kennen und sich die Menschen täglich seelig an den Händen fassen, um gemeinsam durch die Straßen zu tanzen.

Das Verstörende an Zastrows Artikel ist allerdings, dass er Thilo Sarrazin, Berliner Finanzsenator a.D., als Kronzeugen für die angebliche Verderbtheit Berlins anführt. Er klatscht dem Neufrankfurter, der mit seiner großen Klappe und seinen Äußerungen über „Kopftuchmädchen“ bereits dafür gesorgt hat, dass er bei der Bundesbank entmachtet wurde, Beifall:

Berlin kann sich aus eigener Kraft nicht erheben, das ist nicht bloß Sarrazins These, es ist Realität. Von den knapp 30 Milliarden, die Berlin im Jahr ausgibt, stammen acht aus Mitteln des Bundes und der anderen Länder, zwei davon gehen für Zinsen drauf; ein erheblicher Teil des gewaltigen Haushalts der unproduktiven Stadt ernährt beträchtliche Teile der Stadtbevölkerung. Berlin ist ein maßgebliches Hindernis nicht nur für die eigene Haushaltssanierung, sondern auch für die anderer Länder.

Berlin-Bashing fetzt. Was sonst soll man einer Stadt auch entgegenbringen, mit der man nicht ansatzweise konkurrieren kann, weil es einem an Kreativität, Gelassenheit, Lebenslust, Geschichte, Landschaft und Architektur fehlt? Da bleibt einem ja gar nichts anderes übrig, als aufgedreht wie ein Duracelhäschen im eleganten Hugo-Boss-Anzug durch die hässlichen Straßen zu springen, immer den Fortschritt im Fokus, das schnelle Geld in der Tasche und immer eine Produktivitätsstufe voraus.

Wenn ich so wäre, würde ich mich auch über die faulen Berliner aufregen, die in ihrer Hängematte rumliegen, sich innovativ fühlen und sich ihren Latte Macchiato vom Amt bezahlen lassen. Die mit Turnschuhen, Jogginghosen und bunten Kopfhörern durch die Innenstadt laufen und sich dabei auch noch cool vorkommen. Eine Stadt, deren Wirtschaftspotential zu 20 Prozent aus Kreativität besteht, kann ja nichts Vernünftiges zustande bringen. Und eine Stadt, in der die Menschen gern leben, muss Unheil mit sich bringen. Da müssen verdorbene Kräfte im Untergrund am Werk sein. Das Leben ist schließlich nicht zum Spaß gemacht.

Aber ich bin nicht so. Ich bin unproduktiv – so wie die meisten Berliner. Ich steuere dem Bruttosozialprodukt nur wenig bei, ich wurstele mehr oder weniger kreativ so vor mich hin und ich bin sogar der Meinung, dass Produktivitätssteigerung nicht das ist, was Deutschland braucht. Jedenfalls nicht an erster Stelle. Ich bin so wie man sagt, dass die Menschen in Berlin sind. Dass ich einsam sterben werde, glaube ich aber trotzdem nicht. Denn meine Freundschaften und meine Familie vernachlässigen – das würde mir vor lauter Produktivität vielleicht in Frankfurt (am Main) passieren.  In Berlin ist die Gefahr da nicht so groß.

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Bitte Wenden!

Als ich acht Jahre alt war lernte ich ein neues Wort. Es hieß Demo. Kein Tag an dem nicht irgendwo von irgendeiner Demo die Rede war. Ich hatte keine Ahnung, was das war und es fand sich auch niemand, der es mir plausibel erklären konnte. Überhaupt geschahen mysteriöse Dinge in der Zeit.

Zu Hause lief der Fernseher öfter als sonst. Einmal sah ich, dass Menschen auf einer Mauer standen. Es war schon dunkel draußen. Es muss Silvester gewesen sein, sonst hätte ich wohl nicht so lange aufbleiben dürfen. Außerdem stiegen dort wo die Menschen standen Feuerwerksraketen in den Himmel. Ein großes Tor ragte hinter der Kulisse empor und auf diesem Tor waren Pferde.

Die Lehrerin fragte in der Schule, ob jemand wisse, was  passiert sei. Ich meldete mich und erzählte, was ich im Fernsehen gesehen hatte. Die Lehrerin lobte mich und erklärte uns, was das zu bedeuten habe. Wir verstanden es auch danach nicht, aber wir spürten, dass das hier wichtig etwas wichtiges war.

Irgendwas lag in den nächsten Monaten in der Luft. Die Erwachsenen waren noch viel mehr mit sich selbst beschäftigt als sonst. Es schien als würden sie einander plötzlich alle misstrauen. Die Stimmung schien insgesamt schlechter geworden zu sein. Die Lehrerin in der Schule war nervös. Sie sagte, jemand habe etwas über sie erzählt, was nicht wahr sei. Sollten wir unsere Eltern davon reden hören, sollten wir ihnen das sagen. Das es nicht stimmt, was über sie erzählt wird. Ich wusste nicht wovon sie sprach aber ich glaubte ihr. Ich war fest entschlossen, meine Lehrerin vor jedem zu verteidigen, der falsch Zeugnis über sie redete.

Und dann sagte meine Schulfreundin plötzlich, dass sie mit ihren Eltern wegzieht. In den Westen. Ich war traurig und neidisch. Meine Freundin versprach mir, Pakete aus dem Westen zu schicken mit Überraschungseiern und bunten Stiften. Nachdem sie weg war habe ich nie wieder von ihr gehört. Zu Hause schmipfte mein Vater jetzt manchmal über andere. Über Kollegen oder Leute, die bisher seine Freunde waren. „Wendehälse“ nannte er sie.

Und dann verwandelten sich plötzlich von einem Tag auf den anderen die Schaufenster in den Läden. Eine gigantische neonfarbene Kiste „Sunil“ prunkte aus einem Dorfkonsum hervor. Neonfarben wurden meine Lieblingsfarben.

Heute feiern die Menschen im Fernsehen wieder. Sie feiern die Ereignisse von damals. Sie sagen, es sei ein großes Glück gewesen, als die Mauer fiel. Ich finde das auch. Heute im Nachhinein betrachtet. Nur damals habe ich leider nichts von diesem großen Glück gespürt. Für mich war die Wendezeit eine Zeit voller Verwirrung und ungeklärter Fragen. Eine Zeit, in der Menschen plötzlich gingen und nie wiederkehrten. Eine Zeit, in der Menschen schlecht über andere redeten. Eine Zeit, in der plötzlich alles anders war.

Es war auch eine Zeit der subtilen Angst. Der Angst davor, dass etwas unwiderbringlich verloren war. Ich wünschte, ich wäre damals älter und klüger gewesen.

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(Q)wählerei

Schon wieder ist Wahl, diesmal aber so richtig und wichtig. Wenn die bisherigen Europa-, Landtags- und Kommunalwahlen im Laufe dieses Jahres nur der Trailer waren, so ist die Bundestagswahl am Sonntag der Blockbuster. Ein ziemlich müder, muss man dazu sagen, denn so richtig vom Hocker gerissen hat uns der Wahlkampf ja nun nicht wirklich. Ich möchte weitergehen und behaupten, dass er mich geradezu stumpfsinnig gemacht hat, meine Neuronen in Watte gepackt und somit daran gehindert hat, irgendetwas Vernünftiges zu denken und geschweige denn, mir irgendeine Meinung zu bilden.

Aber nun ist es ja vorbei mit dem Wahlkampf und irgendwann in den nächsten Wochen werden wir dann auch eine neue Regierung begrüßen dürfen („Moin moin“), die höchstwahrscheinlich die alte sein wird. Warum ich das denke? Ich habe keine Ahnung, aber ich habe in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit meinen hellseherischen Fähigkeiten machen können, ein kleines Hobby von mir, das mir vielleicht irgendwann auch mal die Miete für meine dann vorhandene Charlottenburger Hundertquadratmeterwohnung zahlen wird.

Ich weiß im übrigen immernoch nicht, wem ich meine kostbare Stimme geben soll, das liegt aber vor allem auch daran, dass es am Ende genau zwei mögliche Regierungskonstellationen gibt, von denen ich nicht weiß, welche das größere Übel ist. Und die Tatsache, dass es sich um zwei Übel handelt, macht die Wahl auch nicht gerade zu einem Besuch im Fantasialand. Das ganze wird ja eigentlich nur noch dadurch getoppt, dass wir jetzt schon wissen, wer die nächste Kanzlerin sein wird. Eine Frau, die Jakob Augstein im aktuellen Freitag mit Spinoza gleichsetzt und als „Frau ohne Eigenschaften“ bezeichnet. Na Prost Wahljahr!

Nun, aber was hilft es zu jammern über die deutsche Politik und ihre Uninspiriertheit. Wer was anderes will, soll es besser machen, sage ich immer. Es ist eben noch kein Obama vom Himmel gefallen, ach du liebes bisschen, was schwafele ich eigentlich hier für Platitüden vor mich her? Bevor das so weitergeht, möchte ich wenigstens noch mein persönliches Highlight aus diesem Wahlkampf melden (ja das gibt es wirklich) und dieses spielte sich in meiner Heimat, dem Uecker-Randow-Kreis ab. Dort nämlich hatte NPD die Laternenpfähle kurz vor der polnischen Grenze liebevoll mit der folgenden Botschaft zuplakatiert: „Polen-Invasion stoppen!“ Der  Landkreis hat daraufhin kurzerhand beschlossen, die Plakate abzuhängen, woraufhin die NDP mit Klage beim Verwaltungsgericht Greifswald reagierte und Recht bekam. Der Landkreis konnte nicht hinnehmen, dass es mit der deutschen Justiz so bergab gegangen sein soll, dass sie eine offensichtliche Volksverhetzung als freie Meinungsäußerung durchgehen ließ. Es begann ein schneller juristischer Marathon bis zum Bundesverfassungsgericht, an dessen Ende schließlich das rechtmäßige Abhängen der Plakate stand.

So, na dann mal ein schönes Wochenende und ein fröhliches Ankreuzen auf dem Wahlzettel. Eigentlich ist so eine Wahl ja wirklich ein Event. Das nächstemal kann’s aber bitteschön wieder ein bisschen mehr Entertainment sein.

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Into the wild

Die Hauptstadt ist nicht immer nur nett. Sie ist manchmal auch ein arrogantes kleines Ekel, das sich vor dir aufbaut und rumprotzt, was sie so alles zu bieten hat, dass dir allein vom Zuhören schon schwindelig wird. Und kaum schaust du mal ein bisschen genauer hin, dann schwups…hat sich das ganze angebliche Angebot plötzlich in einen Fliegenschiss verwandelt. Aufblasen, ja das kann sie gut. Und mit ihr die Menschen, die darin leben. Einige sind den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt, als sich und ihre Umgebung akribisch darauf zu untersuchen, ob diese beiden Dinge, nämlich sie und ihre Umgebung, sich den eigenen Vorstellungen entsprechend verhalten oder diesen zuwiderhandeln. Meistens wird dann beobachtet, dass sich die Umgebung irgendwie so verhält, wie man es selbst nie tun würde, wobei man dann vergisst, dass man sich schon längst so verhält, was man aber nicht sehen kann, da man ja in sich selbst drinsteckt anstatt sich von außen zu sehen, so wie man es bei den anderen tut. Wenn das jetzt irgendwie verworren klingt, so liegt das daran, dass ich gestern zu lange aus war. Berlin hat eben so viel zu bieten.

Jedenfalls bekommt man nicht gerade energisches Kontra, wenn man immer mal wieder mit einem Seufzer bemerkt, dass man ja ganz offensichtlich in einer Stadt der Verrückten lebt oder zumindest in einer Stadt mit einem hohen Anteil an geschädigten Menschen. Aber mal ehrlich, so ganz normale Menschen gibt es doch eigentlich auch nur da, wo man herkommt. Das sind die Leute, die im gleichen Klima großgeworden sind, die auf die gleiche Frequenz getuned sind, die irgendwie dieselbe Sprache sprechen, so auf einer emotionalen Ebene, so ganz auf einer geerdeten Basis. „Ja aber normal. Normal ist doch langweilig“, widerspricht mir nun doch eine Freundin, die wie ich aus der Welt der normalen Menschen stammt, nämlich vom Stettiner Haff. „Nee“, antworte ich ihr und meine das in dem Moment auch ganz ehrlich so. „Normal finde ich wahnsinnig entspannend.“

Ein Freund, der sich vor kurzem in Nürnberg niedergelassen hat, bestätigt meine Befürchtung, dass es schon wieder soweit sein könnte, dass ich einfach mal raus muss. „Du musst mich besuchen kommen und dann gehen wir ins Kloster. Das wird dir gefallen“, sagt er am Telefon und ich bin spontan von dieser Idee eingenommen. In ein Kloster, ja das könnte kathartische Wirkung haben, mal drei Monate raus aus allem, aus Stress, Feiern und heillosen zwischenmenschlichen Geschichten. Leider hat dieses Kloster, von dem er spricht nicht wirklich etwas mit Meditation oder Selbstfindung zu tun. „Das Kloster war eine verrückte Kneipe, deren Eingang von einem Sarg geschmückt wurde, und ein Ort, den in Nürnberg niemand für möglich gehalten hätte“, spuckt Google aus. Der Satz stammt aus irgendeinem Roman, den irgendwer neulich mal geschrieben hat. Ich weiß nicht, ob Nürnberg und das Kloster wirklich die Orte sind, an denen man sich von Berlin erholen kann, aber ein Freund der einen mit Sätzen aufmuntert wie „Ulli, das Leben ist ein Krieg!“ ist auf jeden Fall ein guter Gesprächspartner.

Vielleicht sollte man auch mal einfach ganz aussteigen, so wie Alexander Supertramp gemacht hat. Aber heute Abend schaffe ich das bestimmt nicht mehr. Dafür bin ich einfach schon zu müde. Möglicherweise ja nächste Woche.

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Im Sommer ist alles schön

Mit dem Regionalexpress durch die sonnenbeschienene, bräsig daliegende Uckermark fahren und Element of Crime hören. Es gibt Momente, die versöhnen dich ganz und gar mit der Provinz.



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Sternstunden der Gelassenheit

Ein Kollege hat unlängst einen Kampf der Kulturen in der Hauptstadt ausgemacht. Als er gepflegt ein feierabendliches Herrengedeck zu sich nehmen wollte und sich zu diesem Zweck in die Kastanienallee begab, wurde sein entspanntes Leutebeobachten jäh von einem Lärm unterbrochen, der seine hauptstadterprobten Ohren schockgefrieren ließ: kreischende Provinzlerinnen feierten ihren Junggesellinnenabschied – und das mitten auf der Castingallee, mitten in Berlin, dem Laufsteg für großstädtisch gewordene Provinzperlen.

Mit gerümpfter Nase und in Kraus gezogener Stirn erzählte er mir angewidert von dieser Begegnung der anderen Art, ungefähr mit diesen Worten: „Will man denn wirklich seinen Asphalt mit Leuten teilen, die laut zu David Hasselhoff mitsingen?“ Gleich daraufhin entschuldigte er sich für seine Intoleranz und großstädtische Arroganz. Er stand ganz offensichtlich vor einem Dilemma: wie gelassen darf man bleiben im Kampf der Kulturen, Provinz gegen Großstadt? Wie weit dürfen provinzielle Bräuche und Kulturen unsere Straßen einnehmen, bevor sie sie überschwemmen und unsere schöne Überdreimillionenmetropole mit David Hasselhoff und Katy Perry vergiften? Ich meine, hat es mit dem Römischen Reich nicht auch irgendwann mal so angefangen?

Dann wiederum gibt es in Berlin auch Ecken, an denen man hundertprozentig nie kreischende Provinzlerinnen beim Jungesellinnenabschied beobachten wird. Alt-Moabit zum Beispiel. Dort neulich beim Eis mit einer Freundin gesessen und das getan, was in Berlin am allerbesten geht: Leute beobachten. Eine alte Dame sitzt am Nebentisch, redet mit ihrem Hund und gibt ihm ihr stilles Mineralwasser aus der Hand zu trinken. Zwei Kinder werden zum Eiskaufen für die gesamte türkische Großfamilie geschickt, die dicht gedrängt auf einem dunklen Balkon im Erdgeschoss sitzt und den lauen 30-Grad-Celsius-Sommerabend genießt. Die Kinder laufen dreimal zwischen Eisladen und Balkon hin und her, bis endlich hellblaue Schlumpfeise an alle Familienangehörigen verteilt sind. Ein Jüngling mit zurück gegeltem Haar und einem weißen Hemd schleicht unruhig vor dem Laden hin und her, so lange bis ein Mädchen in einem fröhlichen bunten Kleid aus dem U-Bahn-Schacht steigt und ihn von seiner Warterei erlöst.

Rein modisch sind die Unterschiede zwischen Castingallee und Turmstraße eklatant. In Mitte trägt man Röhrenjeans und American Apparel, in Moabit trägt man Socken in Sandalen und Kik. Frisuren hält man in Moabit für überbewertet, die sozialen Kontakte in der Eckkneipe dagegen für lebenswichtig. Kreischende Provinzlerinnen hätten hier gar keine Chance, Aufsehen zu erregen, denn vermutlich würde man sie mit genau derselben gleichgültigen Miene betrachten, wie alle anderen Merkwürdigkeiten in dieser Stadt.

Und das ist dann eigentlich wirklich cooles, großstädtisches Verhalten. Kurz mit dem Kopf schütteln, ein schnelles „die sind doch hier alle bekloppt“ in sich rein nuscheln, einen großen Schluck Berliner Pilsner zu sich nehmen, dann zurück in Lethargie verfallen und Sommer, Herbst, Winter und Frühling weiter an sich vorbei ziehen lassen. Mitte-Berliner können hier in Moabit noch viel lernen.

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Sommerabhänger

In der Provinz ist, wie auch im Rest der Republik, nichts los. Das liegt am Sommerloch. Faul liegen die Provinzler und all ihre Angehörigen an irgendwelchen Baggerseen oder auf Malle rum und lassen sich den Bauch von der Sonne verbrutzeln. Zuhause muss sich der Gemüsegarten mit Gewitterschauern und wucherndem Unkraut rumplagen.

Das Provinzkind hat es genauso gemacht wie alle anderen und war für eine Woche auf Urlaub in der niederländischen Provinz Zeeland. Dort, in dem kleinen Örtchen Stavenisse, etliche Kilometer von Zivilisation und einem ordentlichen Badestrand entfernt, ist es gemeinsam mit zwei Freundinnen seiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen: Entspannen. Ab und zu hat es auch mal auf den Auflöser der Kamera gedrückt.

Provinzklo

Provinzklo

Faule Katze

Faule Katze

Stavenisse

Stavenisse

Strand gefunden

Strand gefunden

Hollandrad

Hollandrad

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Provinzoptimierung

Es gibt Dinge, die können einem nur dort passieren. Schlechter Kaffee zum Beispiel. Ja, ich weiß, den gibt es überall auf der Welt, außer vielleicht in Paris oder Rom. Aber schlechter Kaffee, perfide serviert in einer Porzellan-Omatasse, in einem anheimelnden kleinen Lokal, in einem Backsteinhaus mit blau-weißen Fensterrahmen und von wildem Wein und Efeu überwuchert. Einem Kleinstadtidyll von Café, ein Café, das sich kein Prenzl’berger in seiner kühnsten Phantasie zurechtklöppeln könnte. Als Großstädter geht man in seinem nervig-stets-neuem-gegenüber-offenen Großstadthabitus in diesen Tempel der Niedlichkeit und Ruhe, setzt sich auf eines der Antikmöbel und bestellt – na was? Richtig. Einen Milchkaffee. Den gibt’s in Prenzl’berg auch, da weiß man was man hat, und man ist regelrecht beglückt darüber, wie fortschrittlich der Provinzcafébesitzer seine Heiße-Getränke-Karte zu bestücken weiß. Und dass der Fortschritt und der Aufschwung jetzt bald hierher kommen.

Und dann…dann schmeckt irgendwas nach Vanille. Oder nach Quark. Oder Hefekuchen. Oder allem zusammen. Jedenfalls fehlt ein Geschmack, nämlich der nach Kaffee.  Der sollte in so einem Kaffee aber drin sein. Meine Meinung. Wenn man ein Café hat, sollte man seine Gäste nicht mit dem Kaffee vergraulen. Und das ist dann irgendwie traurig. Dass es da so was Schönes gibt in dieser kleinen Stadt und dass es aber trotzdem wieder ein Flop sein wird. So wie so vieles vorher. Und dass auch die Touristen wegbleiben werden, die Einzigen, die ihr Geld hierher bringen. Und dann denkt sich der Großstadtmensch: typisch für dich. Immer willst Du alles zu Geld machen und optimieren. Entspann Dich doch mal. Und trink die verdammte Brühe. Oder willst Du Schuld daran sein, wenn der Provinzcafébesitzer seinen unternehmerischen Mut verliert?

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Zersiedelt

Sie: Immer wenn ich zu meinen Eltern nach Hause fahre, reden die über nichts anderes als über die Nachbarn.

Er: Ja bei meiner Mutter ist das genau so. Die wohnt in so einer Neubausiedlung. Lauter Eigenheime und alle sind neu dazugezogen.

Sie: Ja, siehste, genauso wie bei uns zu Hause. Die kennen sich da alle nicht. Obwohl sie da alle zur gleichen Zeit hingezogen sind. Da will keiner was mit den anderen zu tun haben.

Er: Jeder lebt da isoliert in seinem kleinen spießigen Haus und mäht seinen eigenen Rasen. Und jeder lästert über den anderen. Ein anderes Gesprächsthema gibt es da gar nicht.

Sie: Das muss daran liegen, dass das eben keine gewachsenen Strukturen sind. Bei uns haben die vorher alle in der Platte gelebt. Da hat man den Nachbarn gekannt und sich gegenseitig geholfen.

Ich: Stimmt, das lag wohl daran, dass die da alle so Anfang 20 hingezogen sind und alle zur gleichen Zeit Kinder bekommen haben. Da mussten die sich gegenseitig helfen, schon weil sie gegenseitig auf die Kinder aufgepasst haben, wenn sie abends mal weg wollten.

Sie: Ja, genau. Ich war damals ständig bei unseren Nachbarn, als wir noch in der Platte gelebt haben. Und deren Kinder bei uns. Das war völlig normal. Und jetzt. Jetzt weiß ich ja kaum noch, wer überhaupt Kinder hat von den neuen Nachbarn meiner Eltern.

Er: Am schlimmsten ist es, wenn der Postmann ein Paket abgeben will für die Nachbarn. Man macht das dann so ganz widerwillig, obwohl man keine Lust hat. Und dann kommt der irgendwann rüber und will sein Paket haben. Ganz unangenehme Situation. Da weiß man gar nicht, was man sagen soll.

Sie: Ist ja komisch, dass das bei Euch genauso ist. Ich dachte, das läge an den Menschen in meiner Gegend. Die sind ja alle so’n bisschen muffig.

Er: Nee, das liegt an diesen schrecklichen Neubausiedlungen.

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