Schreib das (nicht) auf!

Ich habe es ja schon immer gewusst. Ich bin ein schlechter Journalist. Immer, wenn irgendwo was passiert, bin ich nicht dabei. Beispiele? Im Februar 2004 saß ich in Dijon in der Uni und versuchte bei einer Vorlesung über Filmhistorie,  nicht einzuschlafen. Damit mir das gelingen möge, ging ich kurz raus, um mir auf dem Gang „die Beine zu vertreten“. Als ich in den Klassenraum zurückkam, leicht erregte Atmosphäre. „Ein Erdbeben, hast Du das Erdbeben bemerkt?“ Nein, habe ich nicht. Ich ging gerade über einen offenbar erdbebensicheren Gang spazieren. Am nächsten Tag stand es in der Zeitung. Überall in Dijon hatten sie das Beben gespürt. Außer auf dem Gang der Universität.

Drei Jahre zuvor hatte ich den 11. September verpasst – jedenfalls im Fernsehen. Ich war zu Besuch bei meiner Großmutter, die nur ein Radio besitzt. Ich war wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der die Flugzeuge nicht am selben Tag noch tausendmal in die Zwillingstürme hat fliegen sehen. Naja, neben meiner Oma jedenfalls. Ich habe das brennende World Trade Center erst am 12. Dezember September in der Zeitung gesehen. Unvorstellbar.

Und nun das. Ich fliege von New York City nach Berlin. 16:50 soll meine Air-France-Maschine gehen, sie hat nur eine Stunde Verspätung. Kurz nachdem sie losgeflogen ist, bricht über der Stadt offenbar der Weltuntergang in Form von tonnenweise Schnee herein. Ich sitze im Flieger und kriege davon nichts mit. Was dazu führt, dass ich solche Geschichten mal wieder nicht schreiben werde. Ich lande ohne größere Turbulenzen oder Probleme in Paris Charles de Gaulle. Dort steht die Maschine nach Berlin, die zwar auch rund zwei Stunden Verspätung hat, aber was soll’s. Das reicht nicht für einen Elf-Stunden-Report inklusive Schilderung bürgerkriegsartiger Zustände im Flugzeug.

Was bin ich nur für ein Looser. Wie soll je was aus mir werden, wenn das immer so läuft? Ich weiß es nicht. Aber ich bin froh, wieder zu Hause zu sein. Ohne Katastrophen.

img_0694

Veröffentlicht unter Ausflüge | Verschlagwortet mit , , , | Schreib einen Kommentar

15.12.2009 Washington DC

Das hier ist das Zentrum der Weltmacht. Vor dem Kapitol stehen versprengt ein paar Demonstranten herum. Es geht um Health Care, das große Thema seit Monaten in den Staaten. Sie wehren sich dagegen, sich krankenversichern zu lassen und Obama verliert angesichts der Diskussion massiv an Rückhalt im eigenen Land. Nicht nur für mich als Europäer ist das schwer zu begreifen, auch mein afrikanischer Freund hatte kein Verständnis für diese Art des „Freiheits“begriffs. Wie wichtig ist die Freiheit, wenn es um das größte Gut geht, das ein Mensch hat – seine Gesundheit und sein Leben?

Ich beginne meine Sight-Seeing-Tour im Capitol. Ein patriotischer Film schwört uns auf den Besuch im Inneren des Gebäudes ein. Es geht um den Gründungsmythos, um Demokratie und die Bedeutung des Föderalismus. Das gefällt mir. Ich mag dieses Pathos, auch wenn ich vom Fremdschämen manchmal ein bisschen Gänsehaut bekomme. Insgeheim aber muss ich zugeben, dass ich ein bisschen neidisch auf die Amerikaner bin. Sie dürfen so ausufernd stolz auf sich selbst sein.

Was folgt ist ein Spaziergang durch die amerikanische Historie entlang der National Mall. Monumente für sämtliche wichtigen Präsidenten, eines prunkvoller als das nächste. Ein World War II Monument, eine Gedenkstätte für die Soldaten, die im Korea- und Vietnamkrieg starben. Martin Luther King Jr, auch hier wird er geehrt und auf dem Arlington Cemetry liegen John F. Kennedy und seine Frau. In einen Stein sind Kennedys Worte eingraviert:

And so, my fellow americans: ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country.

Auf dem Hügel kann man das riesige Areal überblicken, auf dem zahllose Grabstätten von den Männern und Frauen erzählen, die genau das taten – und dabei starben. Hier in Washington geht es nicht um Coca Cola und gute Laune. Hier in Washington wiegt die Geschichte schwer.

Ich gehe ins Holocaust Memorial Museum, in dem nicht nur die Geschichte des Genozids an den Juden in Europa nachgezeichnet wird, sondern auch die Rolle, die die USA und die Alliierten dabei spielten. Die Konferenz von München wird thematisiert, die Versäumnisse des Westens, Hitler beizeiten zu stoppen und Flüchtlinge aufzunehmen. Dieses Museum ist die bislang beste und erschütternste Ausstellung, die ich bisher zum Holocaust gesehen habe. Ich wünschte, sie würde in Berlin stehen.

Veröffentlicht unter Ausflüge | Verschlagwortet mit , | Schreib einen Kommentar

14.12.2009 Washington DC

Das erste, was mir auffällt, als ich in DC aus dem Flugzeug steige ist, dass hier irgendwas fehlt. Es ist die überschwengliche Freundlichkeit der Menschen. Und ich dachte schon, alle Amerikaner wären so, dabei war es wohl nur eine Eigenart des Südens. Allerdings, jetzt hatte ich mich doch schon ein bisschen daran gewöhnt. So muss ich mich jetzt also wieder umgewöhnen. Der Nordstaatenmensch also. Das ist er.

Am Terminal wartet eine Art Container auf Rädern, der die Menschen auf hohen Stelzen zu ihrem Gepäck fährt. Ist das eigentlich typisch für die USA, dass die Koffer nie da sind, wo man selbst aussteigt? Mag an der Größe der Flughafen liegen. Jedenfalls habe ich immer das ungute Gefühl, ich würde mich von meinem Koffer wegbewegen. Was aber nicht so ist, denn am Ende stehe ich immer vor irgendeinem Laufband und der Koffer ist da.

Auch wenn sie es nicht ganz so begeistert tun wie im Süden, die Menschen helfen mir weiter. An der Information weist mir ein netter älterer Herr den Weg zum richtigen Bus vom Flughafen Dulles International ins Stadtzentrum. Im Bus sitzt mir ein nervöser asiatischer Student gegenüber, Gottseidank, ich bin nicht die einzige, die hier fremd ist. Ich weiß zwar nicht, was mich erwarten wird, aber gehört habe ich über Wahsington DC folgendes: es ist dort gefährlich, es ist wunderschön, es ist dort gefährlich, es gibt so viel zu sehen, es ist dort gefährlich, die Stadt hat kaum Wolkenkratzer und sieht eher europäisch aus und nicht zuletzt ist es dort sehr gefährlich. Als ich in der City ankomme, ist es bereits dunkel. Ich mache mich mit meinem Koffer, meinem Laptop und meiner Handtasche, die ich krampfhaft festhalte, auf den Weg. Allerdings weiß ich nicht wohin, denn eigentlich bin ich schon am Ziel. Ich muss mit der U-Bahn bis zur Endstation der grünen Linie fahren, wo mich eine Freundin aus meiner Heimatstadt erwartet. Sie lebt hier mit ihrem Mann. Ich stehe bereits vor der richtigen U-Bahn-Station, habe allerdings noch etwas Zeit. Bis zu den Sehenswürdigkeiten könnte ich es schaffen, allerdings habe ich zuviel Angst, im Dunklen allein durch DC zu laufen. Die Erzählungen haben ihr Ziel erreicht. Ich bin paralysiert.

Veröffentlicht unter Ausflüge | Verschlagwortet mit , | Schreib einen Kommentar

13.12.2009 Atlanta

Mein Freund M. und ich waren im Martin Luther King Jr. Zentrum. Hier in Atlanta wurde der berühmte schwarze Bürgerrechtler geboren und hier predigte einige Jahre lang in der Kirche seines Vaters. Als wir wieder aus dem Museum kamen, ging vor uns ein Paar. Nach einer Weile drehte sich der Mann zu uns um und sprach uns an. „Wir haben gerade über Euch beide geredet“, sagte er. Er sagte, er sehe in uns beiden ein Symbol für das, wofür Martin Luther King gekämpft hat. Dass Schwarze und Weiße friedlich miteinander leben und Freunde sein können. Der Mann und seine Frau waren selbst auch Schwarze. Er blickte uns kaum an, während er sprach. Doch das, was er sagte, berührte mich sehr. Als Symbol hielten wir vielleicht nicht gerade gut her, da keiner von uns beiden Amerikaner ist. Doch das konnte er natürlich nicht wissen. Er sah in uns den lebendigen Beweis dafür, dass Martin Luther Kings Ideen gesiegt hatten. Er erzählte uns, dass er gerade auf dem College war, als King ermordet wurde. Er kannte die USA also noch, wie sie vorher waren. Als Weißer kann man sich nur schwer vorstellen, welche Gefühle dieser Ort wohl auslösen mag. „Free at last“ steht auf Kings Grabstein geschrieben, der in der Mitte eines Swimmingpools auf einer kleinen Insel thront.

Der Besuch macht mich sensibler für diese Stadt, in der zwei Drittel der Bewohner Afroamerikaner sind, und öffnet mein Herz ein bisschen mehr für die USA. Ich beginne zu begreifen, wie viel ihnen die Freiheit hier bedeutet. Es ist die Freiheit, ungebremst zu konsumieren, Ressourcen ungehemmt zu verschwenden und ein Leben im Luxus zu leben. Es ist die Freiheit der Unternehmer, ihre Mitarbeiter ohne Vorwarnung vor die Tür zu setzen. Es ist die Freiheit, ohne Halt und Wurzeln zu sein, grenzenlos mobil zu sein, all sein Hab und Gut in ein Auto zu packen und quer durch die Staaten an einen anderen Ort zu ziehen, nur weil es dort einen Job gibt. Es ist die Freiheit, reich zu werden oder bei dem Versuch dabei, zu sterben (Zitat 50 Cent). Aber es ist eben auch mehr als das. Es ist die Freiheit, in dieses Land zu kommen – egal woher – und sein Glück zu machen. Es ist auch die Freiheit, zu sagen, was man will. Auf der Straße, im Internet oder in der Presse. Journalisten genießen hier großen Ruhm, so scheint es mir. Sie werden als Stars gefeiert, als Garanten der Freiheit und als vierte Gewalt. Es ist die Freiheit, immer besser zu werden, als Individuum und als Land. Fehler einzugestehen und zu versuchen, sie wieder auszubügeln. Einen anderen Weg einzuschlagen. Nichts anderes meinte Obama mit seinem Wahlspruch „Yes we can“. Amerika ist ein Land der immer neuen Chancen, eines ansteckenden Optimismus und einer ungebremsten Lust auf die Zukunft. Und auf alle Errungenschaften und Erfolge ist man stolz, seien sie politisch oder kommerziell.

Veröffentlicht unter Ausflüge | Verschlagwortet mit , | Schreib einen Kommentar

12.10.2009 Atlanta

Dieser Gigantismus. Riesenauto. Riesencornflakespackung. Riesenhochhaus. Alles ist riesig. Und die Menschen sind freundlich. Man darf Wildfremde anlächeln, ohne dass man böse Blicke erntet. Ihr „How are youuu?“ allerdings, verstört mich. Es wird in einer nach oben verlaufenden Tonschleife vorgesungen. Ich erschrecke immer ein bisschen, denn mein erster Gedanke ist: „Kennt der mich oder warum fragt er, wie’s mir geht?“ Der zweite ist: „Muss ich jetzt was antworten?“ Etwa: „Naja danke, ganz gut, bin nur ein bisschen fertig wegen des Jetlags.“ Und dann: „Muss ich jetzt auch fragen wie es ihm geht?“ Natürlich bin ich gut erzogen und weiß, was sich gehört, aber eine derartige Konversation wäre doch angesichts der Tatsache, dass ich doch nur an einem Kartenabreißer in einem Museum vorbeigehe, etwas übertrieben, oder? Darüber hinaus bin ich auch etwas zu zurückhaltend, jemand Wildfremden zu fragen, wie es ihm geht. Was ist, wenn er in Tränen ausbricht und mir von seiner laufenden Scheidung oder der kranken Mutter erzählt? Wir Europäer sind einfach zu verkopft.

Mein Gastgeber, der aus Burkina Faso stammt, findet die etwas aufdringliche Offenheit der Amerikaner jedenfalls viel angenehmer, als die unterkühlte Hochnäsigkeit der Franzosen, die er mehrere Jahre erlebt hat. „Es tut doch niemandem weh, einem anderen einen schönen Tag zu wünschen“, findet er.

Überhaupt ist es hier total wichtig, gute Laune zu haben. Eine ganze Industrie voller Unterhaltung, Ablenkung, Erlebnis hat sich darauf begründet. Und während man in Europa stolz auf jahrtausendealte Münzen und Schriftstücke ist, die man irgendwo mal ausgegraben hat und seine vielfältige Kultur, die von der Steinzeit über die Antike bis zur Renaissance ihre Spuren hinterlassen hat, in Museen zur Schau stellt, ist man hier in Atlanta stolz auf ein Produkt. Denn hier hat Coca Cola seinen Stammsitz, genau hier hat im 19. Jahrhundert ein Apotheker das berühmteste Getränk der Welt kreiert. Auch er hatte damals die gute Laune seiner Mitmenschen im Fokus, denn er wollte eigentlich eine Medizin gegen Kopfschmerzen, Müdigkeit und Depressionen erfinden. Seit 1886 putscht seine Erfindung Menschen und eine riesige Werbemaschinerie weltweit auf. Der Siegeszug dieses Produkts, das gern wie Mc Donald‘s als Inbegriff des US-amerikanischen Kulturimperialismus angesehen wird, wird in der Coca Cola World nachgezeichnet. Natürlich nicht ohne multimediales Tam Tam mit 4-D-Show (inklusive wackelnder Kinositze und spritzendem Wasser) und einem ausgedehnten Probierstudio, in dem Coca-Cola-Geschmäcker aus allen Kontinenten getestet werden können.

Veröffentlicht unter Ausflüge | Verschlagwortet mit , | Schreib einen Kommentar

10.12.2009 Irgendwo über dem Atlantik

Ich fliege dem Sonnenuntergang hinterher. Klingt kitschig, oder? Aber während ich fliege, merke ich, wie sich die Grenzen verschieben. Sobald eine Reise beginnt, ist es bei mir immer so, dass das, was meinen Alltag bestimmt hat, die Gedanken, die Sorgen, alles, was eben noch so wichtig erschien, von mir abfällt. Plötzlich ist da nur noch der Weg und das Ziel. Nichts anderes zählt mehr, Ich steige in ein Flugzeug und bin schon ganz und gar weg.

Ich bin auf dem Weg nach Atlanta, Georgia. Es ist meine erste Reise in die USA. Zwei Plätze neben mir sitzt ein stiller US-Amerikaner und liest. Der Platz zwischen uns ist frei, das ist komfortabel, da wir all unsere Essensreste und unseren Lesestoff auf dem Sitz und dem Klapptisch verteilen können. Ein stiller Amerikaner. Vielleicht ist er gar kein stiller Mensch, aber zumindest hat er mich noch nicht angesprochen. Untypisch für einen Amerikaner.

Es ist jetzt etwa 20.30 Uhr. Um genau diese Zeit werde ich in Atlanta landen. Bei sechs Stunden Zeitverschiebung heißt da also, dass ich noch sechs Stunden Flugzeit vor mir habe. Das ist eine lange Zeit. Bevor mir gar nichts mehr einfällt, was ich tun könnte, sollte ich vielleicht ein bisschen schlafen. Oder mich mit dem freundlichen, stillen Amerikaner unterhalten. Aber er liest gerade. Ich will ja nicht aufdringlich sein.

Auf den Bildschirmen laufen jedenfalls keine brauchbaren Filme. Ich bin ja schon ein bisschen enttäuscht, dass es bei Air France keine individuelle Videoauswahl gibt, wie etwa bei meinem letzten Flug mit KLM. Stattdessen hat irgendjemand, der einen furchtbar schlechten Filmgeschmack hat, eine Reihe von Filmen ausgesucht, die nun auf allen Bildschirmen laufen. Es gibt nur die Auswahl zwischen friß oder stirb, den Kopfhörer aufsetzen und mithören oder es sein lassen. Und das, wo ich doch ins Land der Freiheit reise.

Veröffentlicht unter Ausflüge | Verschlagwortet mit , | Schreib einen Kommentar

USA

us-flag-640x480

And the star-spangled banner in triumph shall wave
O’er the land of the free and the home of the brave!

Veröffentlicht unter Buntes Land | Schreib einen Kommentar

Big Brother und das Schweinesystem

Da hatte sich wohl jemand im Dienstplan verschrieben. Gleich 600 Polizisten waren am Dienstagabend zur Schicht angetreten, um ein besetztes Haus in der Brunnenstraße zu räumen. Innerhalb weniger Minuten verscheuchten sie 19 Bewohner, die sich darin ein gemütliches Nest aus Gerümpel und Geröll gebaut haben – allesamt nicht in Besitz eines Mietvertrages.

Abgesehen davon, dass ich die politische Intention einer Hausbesetzung nicht verstehe (was genau will man damit ausdrücken, dass man sich in einem Haus niederlässt, das einem nicht gehört und wofür man auch keine Miete zahlt? Freie Häuser für freie Bürger? Ich entscheide, wo meine Matraze liegt? Du kommst hier net rein?), war das Aufgebot, was die Männer in Grün da bestellt hatten schon beeindruckend und definitiv übertrieben. Die autonome Szene hat schließlich nur einmal im Jahr Karneval und das ist am 1. Mai. Den Rest des Jahres machen sie….ja was eigentlich? Das Schweinesystem bekämpfen? Den Weltfrieden durchsetzen? Oder lustige bunte Antischwabenparolen an Elektrokästen sprayen? Man weiß es nicht.

Nun drohen Hausbesetzer mit Randale. Klar. Weil das eine einwandfreie politische Aktion ist. So wie Autos anzünden. Auch immer wieder eine super Idee. So wird das Konzept eines alternativen Lebensentwurfs auch den Spießbürgern auf schonende Art und Weise nahegebracht. Was ich damit eigentlich sagen will: kompletter Blödsinn!

Muss denn alles immer gleich bis zum Äußersten getrieben werden? Wir sind doch alle Menschen. Die einen wollen eben in einem Haus mit Mietvertrag wohnen und die anderen in einem ohne. Da wird es doch wohl eine Ebene geben, auf der man sich begegnen kann, oder? Wenn ich der Hauseigentümer wäre, würde ich zu meinen fusseligen Bewohnern gehen und ihnen einen Vorschlag unterbreiten, den sie nicht ablehnen könnten. „Hört mal zu Jungs und Mädchens“, würde ich sagen. „Auch ich muss meine Brötchen verdienen und die Grundsteuer und das ganze Gedöns hier, naja ihr wisst schon, man hat so seine Kosten“. Dann würden sie wohl erstmal staunen und mich mit großen Kugelaugen anschauen.

Auf subtile Art und Weise würde ich ihnen dann näherbringen, dass Wohnen ohne Geld Abzuwerfen vielleicht in ihrer Phantasie geht, in der Realität aber nunmal nicht und in meinem Haus nun schon ganz und gar nicht. Deshalb nun mein genialer Deal: „Ich hänge Euch hier überall Kameras auf und wir drehen eine Dokusoap. Die verkaufen wir ans Fernsehen. Mein Einkommen ist gesichert und ihr könnt hier weiter für umme wohnen. Was sagt ihr?“ Natürlich werden sie begeistert zustimmen, denn das ist ja wirklich ein unschlagbarer Kompromiss.

Und während sich der gemeine Spießbürger allabendlich unsere TV-Dosis auf RTL2 reinzieht und leicht angewidert feststellt, was für eine verkommene Stadt dieses Berlin doch eigentlich ist, sitzt irgendwo in Schwäbisch Gmünd die Mutti von unserem Haupthausbesetzer mit Tränen der Rührung vor dem Fernseher und denkt stolz: „Mein Junge. Jetzt isser im Fernsehen.“

Das Ganze hat auch schon einen Namen: „Die Hausbesetzer“. Und am Ende wird alles gut.

Veröffentlicht unter Politisches | Verschlagwortet mit , , | Schreib einen Kommentar

Wie mag Frau Enke sich fühlen…

…jetzt wo ihr jeder erklärt, warum ihr Mann sich das Leben genommen hat? Sie, die ihm vermutlich am nächsten stand und sich nun mit dem Gedanken quält, ob sie irgendetwas hätte anders machen können. Muss es für sie nicht wie ein Vorwurf klingen, wenn Fußballfunktionäre, Politiker und Journalisten jetzt sagen, es habe Gründe gehabt, dass er sich vor einen Zug geworfen hat? Es habe am Leistungsdruck im Fußball, an der Angst, seine Krankheit öffentlich zu äußern, am angeblichen Tabu Depression gelegen?

Wer zwanghaft nach Gründen für einen Suizid sucht, hat nicht begriffen, dass es keine äußerlich nachvollziehbaren Gründe für eine solche Tat gibt. Es gibt niemanden, der einem in diesem Moment helfen kann. Nicht, weil niemand da ist. Sondern weil man niemanden mehr an sich heran lässt. Weil man diese Entscheidung mit sich trifft, ganz allein.

Für Angehörige ist der Selbstmord eines geliebten Menschen brutal. Die schlimmste Frage, die man sich stellt, ist die, ob man es hätte verhindern können. Schlimmer wird es nur noch dadurch, dass einem alle anderen indirekt dieselbe Frage stellen: warum hat er das denn gemacht? Um wieviel schlimmer muss es erst sein, wenn ganz Deutschland einem diese Frage stellt?

Veröffentlicht unter Buntes Land | Verschlagwortet mit | Schreib einen Kommentar

Liebe in den Zeiten der Schweinegrippe

Es regnet, Leute sehen verschnupft aus und im Fernsehen spricht Guido Knopp über die Wende. Es ist November. Ansonsten sind wir von weiteren Katastrophen im Moment verschont. Wenn man mal von der Schweinegrippe absieht. Aber irgendwas ist ja immer.

Von der wwWuFk spricht jedenfalls neuerdings keiner mehr, zumindest nicht mit der bereits zur Gewohnheit gewordenen Weltuntergangsstimmung in der Stimme. Eher versöhnlich, so ein bisschen mit Ausblick auf Besserung. Weniger Arbeitslose als gedacht, die Banken schwimmen schon wieder im Geld, die Verbraucher konsumieren. Achso, abgesehen vielleicht von den armen Würsten bei Quelle. Aber die haben eben das Pech der Postwahlkampfpleite. Unternehmen retten ist eben nicht mehr en vogue.

Und während Außen-Guido aufgeblasen wie ein Luftballon durch die Welt jettet, „Mutti“ Angela mit süffisantem Grinsen dem Klimaschutz mal eben so in den Arsch tritt und sich Philipp Rösler – alias „das große Versprechen der FDP“ – daran macht, das Gesundheitssystem endlich mal aus der Zweiklassenmedizin zu führen, in dem er einfach alle mehr draufzahlen lässt, quengeln in Berlin die Blogger darüber rum, dass sie nicht so zitieren dürfen wie sie gern wollen.

Da in Zeiten wie diesen Helden nirgends zu sehen aber dennoch begehrt sind, schaut dieses Land noch einmal 20 Jahre zurück und weidet sich in seiner glorreichen Geschichte, indem es mantraartig die Ereignisse des 9. November 1989 vor sich herbetet. Wenn das dann auch vorbei ist, bleibt wahrscheinlich nichts weiter als ein großes Loch. Schließlich haben Wahlkämpfe, Krisennachrichten und Historie uns dermaßen gebeutelt, dass wir uns mit nichts Geringerem als einem kollektiven Burnout-Syndrom in diesem November konfrontiert sehen.

Doch es hat auch sein Gutes. Die Chancen, diesen Herbst und den darauffolgenden Winter die große Liebe zu finden sind so gut wie schon lange nicht mehr. Denn wenn die Zeiten draußen eisig sind, besinnt sich der Mensch – und vor allem der Großstadtmensch – auf die wahren Werte im Leben und praktiziert den Rückzug ins Private. Vorbei die flatterhafte Leichtigkeit der unendlich scheinenden Sommertage. Jetzt gehts ans Eingemachte. Der Single-Berliner jedenfalls schweift dieser Tage mit sehnsuchtsvollem Blick über die Flohmärkten, Kneipen oder Kaffees und scannt das Angebot an paarungsbereiten Großstädterinnen. Verzweifelter, weniger cool als noch im Hochsommer. Zeit zu verlieren hat er nicht. Denn wer jetzt keine mehr abkriegt, bleibt diesen Winter einsam. Was in Zeiten der Schweinegrippe besonders unangenehm ausgehen könnte. Wer stirbt schon gern allein?

Veröffentlicht unter Landleben, Politisches | Verschlagwortet mit , , | Schreib einen Kommentar