12.10.2009 Atlanta

Dieser Gigantismus. Riesenauto. Riesencornflakespackung. Riesenhochhaus. Alles ist riesig. Und die Menschen sind freundlich. Man darf Wildfremde anlächeln, ohne dass man böse Blicke erntet. Ihr „How are youuu?“ allerdings, verstört mich. Es wird in einer nach oben verlaufenden Tonschleife vorgesungen. Ich erschrecke immer ein bisschen, denn mein erster Gedanke ist: „Kennt der mich oder warum fragt er, wie’s mir geht?“ Der zweite ist: „Muss ich jetzt was antworten?“ Etwa: „Naja danke, ganz gut, bin nur ein bisschen fertig wegen des Jetlags.“ Und dann: „Muss ich jetzt auch fragen wie es ihm geht?“ Natürlich bin ich gut erzogen und weiß, was sich gehört, aber eine derartige Konversation wäre doch angesichts der Tatsache, dass ich doch nur an einem Kartenabreißer in einem Museum vorbeigehe, etwas übertrieben, oder? Darüber hinaus bin ich auch etwas zu zurückhaltend, jemand Wildfremden zu fragen, wie es ihm geht. Was ist, wenn er in Tränen ausbricht und mir von seiner laufenden Scheidung oder der kranken Mutter erzählt? Wir Europäer sind einfach zu verkopft.

Mein Gastgeber, der aus Burkina Faso stammt, findet die etwas aufdringliche Offenheit der Amerikaner jedenfalls viel angenehmer, als die unterkühlte Hochnäsigkeit der Franzosen, die er mehrere Jahre erlebt hat. „Es tut doch niemandem weh, einem anderen einen schönen Tag zu wünschen“, findet er.

Überhaupt ist es hier total wichtig, gute Laune zu haben. Eine ganze Industrie voller Unterhaltung, Ablenkung, Erlebnis hat sich darauf begründet. Und während man in Europa stolz auf jahrtausendealte Münzen und Schriftstücke ist, die man irgendwo mal ausgegraben hat und seine vielfältige Kultur, die von der Steinzeit über die Antike bis zur Renaissance ihre Spuren hinterlassen hat, in Museen zur Schau stellt, ist man hier in Atlanta stolz auf ein Produkt. Denn hier hat Coca Cola seinen Stammsitz, genau hier hat im 19. Jahrhundert ein Apotheker das berühmteste Getränk der Welt kreiert. Auch er hatte damals die gute Laune seiner Mitmenschen im Fokus, denn er wollte eigentlich eine Medizin gegen Kopfschmerzen, Müdigkeit und Depressionen erfinden. Seit 1886 putscht seine Erfindung Menschen und eine riesige Werbemaschinerie weltweit auf. Der Siegeszug dieses Produkts, das gern wie Mc Donald‘s als Inbegriff des US-amerikanischen Kulturimperialismus angesehen wird, wird in der Coca Cola World nachgezeichnet. Natürlich nicht ohne multimediales Tam Tam mit 4-D-Show (inklusive wackelnder Kinositze und spritzendem Wasser) und einem ausgedehnten Probierstudio, in dem Coca-Cola-Geschmäcker aus allen Kontinenten getestet werden können.

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