Sternstunden der Gelassenheit

Ein Kollege hat unlängst einen Kampf der Kulturen in der Hauptstadt ausgemacht. Als er gepflegt ein feierabendliches Herrengedeck zu sich nehmen wollte und sich zu diesem Zweck in die Kastanienallee begab, wurde sein entspanntes Leutebeobachten jäh von einem Lärm unterbrochen, der seine hauptstadterprobten Ohren schockgefrieren ließ: kreischende Provinzlerinnen feierten ihren Junggesellinnenabschied – und das mitten auf der Castingallee, mitten in Berlin, dem Laufsteg für großstädtisch gewordene Provinzperlen.

Mit gerümpfter Nase und in Kraus gezogener Stirn erzählte er mir angewidert von dieser Begegnung der anderen Art, ungefähr mit diesen Worten: „Will man denn wirklich seinen Asphalt mit Leuten teilen, die laut zu David Hasselhoff mitsingen?“ Gleich daraufhin entschuldigte er sich für seine Intoleranz und großstädtische Arroganz. Er stand ganz offensichtlich vor einem Dilemma: wie gelassen darf man bleiben im Kampf der Kulturen, Provinz gegen Großstadt? Wie weit dürfen provinzielle Bräuche und Kulturen unsere Straßen einnehmen, bevor sie sie überschwemmen und unsere schöne Überdreimillionenmetropole mit David Hasselhoff und Katy Perry vergiften? Ich meine, hat es mit dem Römischen Reich nicht auch irgendwann mal so angefangen?

Dann wiederum gibt es in Berlin auch Ecken, an denen man hundertprozentig nie kreischende Provinzlerinnen beim Jungesellinnenabschied beobachten wird. Alt-Moabit zum Beispiel. Dort neulich beim Eis mit einer Freundin gesessen und das getan, was in Berlin am allerbesten geht: Leute beobachten. Eine alte Dame sitzt am Nebentisch, redet mit ihrem Hund und gibt ihm ihr stilles Mineralwasser aus der Hand zu trinken. Zwei Kinder werden zum Eiskaufen für die gesamte türkische Großfamilie geschickt, die dicht gedrängt auf einem dunklen Balkon im Erdgeschoss sitzt und den lauen 30-Grad-Celsius-Sommerabend genießt. Die Kinder laufen dreimal zwischen Eisladen und Balkon hin und her, bis endlich hellblaue Schlumpfeise an alle Familienangehörigen verteilt sind. Ein Jüngling mit zurück gegeltem Haar und einem weißen Hemd schleicht unruhig vor dem Laden hin und her, so lange bis ein Mädchen in einem fröhlichen bunten Kleid aus dem U-Bahn-Schacht steigt und ihn von seiner Warterei erlöst.

Rein modisch sind die Unterschiede zwischen Castingallee und Turmstraße eklatant. In Mitte trägt man Röhrenjeans und American Apparel, in Moabit trägt man Socken in Sandalen und Kik. Frisuren hält man in Moabit für überbewertet, die sozialen Kontakte in der Eckkneipe dagegen für lebenswichtig. Kreischende Provinzlerinnen hätten hier gar keine Chance, Aufsehen zu erregen, denn vermutlich würde man sie mit genau derselben gleichgültigen Miene betrachten, wie alle anderen Merkwürdigkeiten in dieser Stadt.

Und das ist dann eigentlich wirklich cooles, großstädtisches Verhalten. Kurz mit dem Kopf schütteln, ein schnelles „die sind doch hier alle bekloppt“ in sich rein nuscheln, einen großen Schluck Berliner Pilsner zu sich nehmen, dann zurück in Lethargie verfallen und Sommer, Herbst, Winter und Frühling weiter an sich vorbei ziehen lassen. Mitte-Berliner können hier in Moabit noch viel lernen.

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