Die Banalität des Guten

Am Samstag, 24. April, fanden sich laut Medienangaben 120.000 Menschen zusammen, um mit einer Kette zwischen den AKW Brunsbüttel und Krümmel gegen die Verlängerung von Laufzeiten bei Atomkraftwerken zu protestieren. Hans Christian war einer von ihnen. Er stand zwischen feiernden Familien und agitierenden Sechsjährigen  am Elbdeich in der Nähe von Glückstadt – da wo die Elbe die Nordsee küsst! Hier erzählt er, wie er es erlebt hat.

Provinzkind: Wie muss man sich so eine Menschenkette denn vorstellen? Was macht man da den ganzen Tag?

Die Kette steht

HC: Das ist wie so ein Straßenfest. Die Leute gehen eben dahin, weil sie sich sonst langweilen würden. Die haben Kinder und überlegen sich: was machen wir heute? Und dann kommen sie auf die Idee, mal einen Tag am Meer und im Freien zu verbringen. Und wenn dann so eine Menschenkette stattfindet, ist das eine willkommene Abwechslung in einer Gegend, in der sonst eh nicht so viel passiert. Für Provinzler ist es also ein großes Event in ihrem sonst eher öden Alltag und für Großstädter eine Gelegenheit, mal raus ins Grüne zu fahren.

Provinzkind: Wie, ich dachte, die Leute seien dahin gegangen, um gegen Atomkraftwerke zu demonstrieren?

HC: Ich habe da keine Atomkraftwerke gesehen.

Provinzkind: Aber Du hast doch sicher Leute gesehen, die demonstrieren? Die Transparente halten oder irgendwas Politisches sagen?

HC: Vor allem habe ich lachende Gesichter gesehen. Und inhaltlich ging es vor allem darum, diese Kette durchzuhalten. Da wir aber in unserer Gesellschaft ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom haben, haben wir es nicht ausgehalten einfach nur dazustehen und eine halbe Stunde diese Kette durchzuhalten. Deshalb haben wir dann angefangen, La Ola Wellen zu machen.

Provinzkind: Das war also eine vollkommen unpolitische Veranstaltung?

HC: Ich würde nicht sagen, dass sie unpolitisch war. Immerhin war ja das Fernsehen da.

Provinzkind: Also ging es im Grunde nur darum, starke Bilder für die Medien zu produzieren?

HC: Überspitzt gesagt, ja. Aber das ist ja auch in Ordnung, oder?

Provinzkind: Naja, zumindest hat es funktioniert.

HC: In den Nachrichten waren nur Jürgen Trittin und Siegmar Gabriel zu sehen. Von den Organisatoren der Menschenkette habe ich niemanden in ein Mikro reden hören.

Provinzkind: Was hat diese Menschenkette der Anti-Atombewegung dann gebracht?

HC: Am Ende war das Ganze von Einzelinteressen geleitet. Rot-Grün hat es genutzt, um Wahlkampf für NRW zu machen. Und der Anti-Atombewegung hat es genutzt, wieder in der Öffentlichkeit zu stehen. Den Teilnehmern der früheren Anti-Atomgenerationen hat es das Gefühl gegeben, dass ihre Ziele auch in der jungen Generation weiter verfolgt werden und ihr Tun einen Sinn gehabt hat. In den letzten Jahren hatten die ja das Gefühl, dass sich niemand mehr für ihr Thema interessiert.

Provinzkind: Wie alt waren die Leute denn, die da standen?

HC: Es waren vor allem unter 30-Jährige und über 45-Jährige. Dazwischen klaffte eine Alterslücke.

Provinzkind: Und woran liegt das?

HC: Ich kann da nur wilde Theorien aufstellen. Die Anti-Atombewegung hatte in den 80ern ihren Höhepunkt. Danach ist das ganze abgeflaut und in den 90ern machte man sich über diese Leute eher lustig. Die heute 30 bis 40-Jährigen waren damals 20 bis 30. In dieser Zeit haben die den Anschluss an die Bewegung verloren.

Volksfeststimmung vorm Dixieklo (Copyright by Hans-Christian)

Provinzkind: Und wie kommt es, dass sich die Jungen wieder dafür interessieren?

HC: Es wird in einer liberalen Gesellschaft ja immer schwieriger, sich gemeinsam abzugrenzen und gegen etwas zu sein. Es gibt zwar viele Subkulturen, aber nichts, das den Bogen über die gesamte Generation spannen kann. Danach streben die Leute aber meiner Meinung nach. Sie wollen ein Gemeinschaftsgefühl.

Provinzkind: Aber wie sind sie auf der Suche nach so einem verbindenden Moment denn gerade auf die Atomkraft gekommen?

HC: Da muss ich passen, ich weiß es auch nicht.

Provinzkind: Aber gehörst Du dieser Generation denn nicht auch an?

HC: Naja, ich glaube, ich gehe da aus anderen Motiven mit als die meisten der anderen.

Provinzkind: Und welche wären das?

HC: Ich bin nicht unbedingt gegen Atomkraft, jedenfalls nicht aus Angst davor, dass das Ding explodieren könnte. Ich finde einfach, dass es eine Missachtung des Wählervotums ist, die Laufzeiten zu verlängern. Und außerdem denke ich, dass der Weiterbetrieb der Atomkraftwerke den notwendigen Umbau der Energieversorgung zu erneuerbaren Energien erschwert.

Provinzkind: Und die anderen, meinst Du, gehen aus profaneren Gründen zur Menschenkette?

HC: Nein, ich glaube, denen geht es vor allem um ihre Gesundheit und um die Zukunft ihrer Kinder…jetzt ist mir noch was auf die Frage eingefallen, warum die Jungen da mitmachen…

Provinzkind: Ich höre?

HC: Meine Erklärung ist die Sinnsuche. Die jungen Menschen suchen nach etwas, um das zu Kämpfen sich lohnt. Und das Problem der 90er Jahre war, dass es so ein Thema damals nicht gab. Die Leute, die damals 20 waren dachten, dass sie alle an der Börse reich werden. Die haben dann irgendwann das Thema der neuen sozialen Frage für sich entdeckt – Stichwort Präkariat. Aber sehr fragmentiert, jeder für sich selbst. Und jetzt hat die junge Generation im Thema Atomkraft wieder ein sinnstiftendes, verbindendes Thema gefunden.

Provinzkind: Aber in den 90er Jahren gab es doch auch viele Dinge, gegen die es sich zu kämpfen gelohnt hätte. Im Osten gab es  massive Arbeitslosigkeit, Rechtsextremismus breitete sich aus, es gab Armut und Kriege auf der Welt…

HC: Aber in Deutschland kämpfte jeder für sich selbst. Da war zum einen die Lähmung der späten Kohljahre, dann die Probleme mit der Wiedervereinigung, dann hatten sich mit Rot-Grün plötzlich die 68er im Establishment eingenistet und dann kam die Goldgräberstimmung zu Beginn des neuen Jahrtausends. Da dachten ja auch viele, sie würden jetzt das große Geld am Neuen Markt machen, während andere in der Gesellschaft hinten überfielen. Es gab kein großes verbindendes Thema. Das gibt es erst jetzt wieder.

Provinzkind: Würdest Du sagen, die schwarz-gelbe Koalition hat uns wieder zusammen gebracht?

HC: Nein das würde ich nicht sagen. Im Moment ist ein großer Teil der Bevölkerung gegen diese Regierung, weil die es hingekriegt haben, in kürzester Zeit so unsymphatisch zu sein, dass wirklich jeder gegen sie ist. Sogar jeder CSU-Anhänger würde sich doch heute in der Kneipe blamieren, wenn er zugeben würde, dass er für diese Regierung ist. Aber ich denke, dass ist nur eine sehr flüchtige Stimmung.

Provinzkind: Zurück zur Menschenkette und zur Anti-Atombewegung. Es macht den Anschein, als würdest Du das ganze nicht so ernst nehmen und auch anderen absprechen, dass sie es ernst nehmen.

HC: Aber Protestbewegungen sind nunmal so banal. Viele fahren einfach dahin, weil sie jemanden kennen, den sie mögen und der das auch cool findet. Ich weiß ja nicht, ob das bei früheren Protestbewegungen wie den 68ern anders war, ich glaube sogar, dass die nur im Schein des Vergangenheit so strahlend aussehen. In Wahrheit ist das Gute doch total banal.

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