Oh Biller, entossifiziere mich!

Maxim Biller hat in der FAS vom 22. März seinen Beitrag zum 20-Jährigen Jubiläum des Mauerfalls geschrieben und dabei die Ossis gedisst. Er hat es so getan, dass man zunächst glauben möchte, er wolle lediglich polemisieren und Widerspruch erzeugen, denn er hat wirklich kein gutes Haar an ihnen gelassen. Aber irgendwie sind ihm dabei zwischendurch der Humor und die Ironie abhanden gekommen und sein Schimpf-Pamphlet auf die „xenophoben, deutschnationalen, provinziellen, für immer bolschewisierten Duckmäuserossis“ ist zu einer reinen Hasstirade verkommen.

Unter dem Kampftitel „Die Ossifizierung des Westens“ führt er in einem ellenlangen Monolog vor, wie der Beitritt der DDR zur BRD – dem „coolsten, freiesten Land der Welt“ – eben jene zerstört, ihr libertäres Gesicht verzerrt und überhaupt das ganze vereinte Deutschland dem Untergang geweiht hat. Seine Grundthese: Der Osten und seine siebzehn Millionen Bewohner haben die schöne Bundesrepublik „mit Osthaftigkeit vergiftet“.

Während ich das las, fühlte ich mich erinnert an eine Szene aus Leander Haußmanns Verfilmung von Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“: Da sitzt Herr Lehmann am 9. November 1989 in irgendeiner Kreuzberger Kneipe, so wie eigentlich jeden Tag, als sein Idyll jäh zerbrochen wird. Gemeinsam mit den anderen abgewrackten Kreuzberg-Gestalten starrt er auf einen kleinen Fernseher, sieht dort die Ossis mit einer Trabilawine über die Grenze rollen, Rotkäppchensekt schwenken und grölen. Eine abgewrackte Kreuzberg-Frau bringt die Sorgen aller in dieser historischen Stunde gemeinsam in der Kneipe versammelten Schicksalsgeschwister mit entgeistertem Blick auf den Punkt: „Jetzt kommen die alle hier rüber“.

So ähnlich muss es auch Maxim Biller empfunden haben. Zumindest schildert er das in seinem Text so. Die Ossis kamen und mit ihnen kam die Unfreiheit, das Duckmäusertum, die Spitzelei, die Provinzialität und nicht zu vergessen natürlich die hässliche, braune Neonazi-Fratze. Dinge, die es in der alten Bundesrepublik, diesem „so ziemlich coolsten, freiesten Land der Welt“ natürlich nie gegeben hätte.

Biller bedient sich bei seiner Argumentation sorglos aus einem bunten Gemischtwarenladen voll blinder Vorurteile, historisch unkorrekter Vergleiche, einer gepflegten Prise Ignoranz gesalzen mit Arroganz. Zunächst ist der Osten natürlich erstmal grau und trist…wow, das wäre bis dato nie jemandem im Traum eingefallen, ganz neue Beschreibung. Dann arbeitete er sich an verschiedenen ostdeutschen Phänomenen ab: Maybritt Illner, Frank Castorf, Polizeiruf 110, Angela Merkel, Hans Modrow, Manfred Stolpe, Linkspartei, Jana Hensel, Leipziger Schule, Uwe Tellkamp: Durch die Bank weg, alle böse, alle Stasi, alle Feinde des coolsten und freiesten Landes der Welt. Klonkrieger des Opportunismus und Chauvinismus, geschickt von einer unheimlichen Macht, im Auftrag, allen Individuen ein Korsett der Unfreiheit, des Nationalismus und des preußischen Untertanentums aufzuzwängen…ja sogar den Lafontaine haben sie umgekrempelt!

Biller lässt nicht mal ab vom längst ausgelutschten Totschlagvergleich mit den Nazis. Er jammert, „dass es nie eine ostdeutsche Vergangenheitsbewältigungsdebatte gab, in ihrer Radikalität vergleichbar mit der Aufräumaktion, die die West-68er unter ihren Nazieltern veranstalteten“. Sicher, alle Ossis sind Nazis und Honecker war Hitler. Und sie schämen sich noch nicht mal dafür. Schmach und Schande über sie!

Das schönste, was dann aber folgt in diesem Pamphlet der absonderlichen Dummheit ist die Klage über den Verlust des Individuums in der neuen, deutschen Gesellschaft. Allen Ernstes will Biller uns weismachen, in der guten alten BRD hätte „der Einzelne (…) am meisten“ gezählt, während in der DDR – man kennt das ja aus einschlägigen Augenzeugenberichten – alles im Kollektiv geschah, bereits im Kindergarten mit dem Sitzen auf dem Topf. Das führt nun dazu, dass in der heutigen ossifizierten Gesellschaft, derjenige, „wer nicht jeden Tag mit den Kollegen zum Mittagessen geht, wer in seinen Leitartikeln grundsätzlich die Welt der anderen in Frage stellt, wer nicht für das Sparen von Energie, für Urlaub in Thailand und für die deutsche Fußball-, Handball- und Eishockeymannschaft ist“ nicht dazu gehört. Er steht außerhalb, man denke und angehört wird er auch nicht. Der arme Mensch, der nicht dem Mainstream folgt, nennen wir ihn vielleicht … Maxim Biller, der wird öffentlich zur Sau gemacht, ausgegrenzt, nicht mehr lieb gehabt und obendrein auch sowieso nicht mehr zum Mittagessen mitgenommen. Fiese, neue Welt.

Ja, das Individuum, wie blutet sein Herz unter dem erbarmungslosen Gleichschritt dieses wiedervereinigten Deutschlands. Auch ich habe es randalieren gehört, irgendwo ganz tief in meinem Unterbewusstsein und es hat geschrieen, ich möge es herauslassen aus seinem grausamen Gefängnis, ihm erlauben, endlich mal allein Mittagessen zu gehen, einfach mal in der falschen Fankurve zu sitzen, Urlaub total individuell in Norwegen zu machen, auch mal anderer Meinung als Angela Merkel zu sein und beim Polizeiruf 110 ganz politisch unkorrekt abzuschalten. Leider wird mir das aber nicht gelingen, denn auch ich bin in der DDR geboren und eine Zeit lang aufgewachsen und meine Eltern sind ebenso ostige Klonkrieger wie die anderen und auch ich war im Ostkindergarten und so bin ich eben auf der dunklen Seite der Macht sozialisiert worden. Ich bin durch und durch verseucht.

Es hilft – da hat Biller in seinem Fazit schon ganz recht – nur ein groß angelegtes Entossifizierungsprogramm.

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